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SHORT TEXTS

Short texts which were written partly on the way to, partly in the studio and inspired directly or indirectly some of the paintings.

ANGRIFF

Der Löwenzahn ist abgeblüht und verteilt seinen flaumigen Samen. Auf mir, in der Luft.

AUSGEDIENT

Über die Enten, die bis vor wenigen Tagen auf den niedrigen Strömen des Wasserbeckens in der Eingangshalle der Bibliothek schaukelten: Wegen des Umbaus hat jemand das Wasser abgelassen und sie herausgenommen. Da liegen sie nun schräg auf dem steinernen Rand des Bassins, denn sie haben nur ein Fundament aus Plastik, keine Füße. Sie können nicht stehen.

BETTER SAFE THAN SORRY

In den ersten Tagen des Januars sagt jemand in der Bahn: Die Weihnachtsbäum‘, die se net verkauft hen, die hen se dr Wilhelma g’schpendet. Un‘ die Elefante fresset’s. Au wenn’s koi Leckerbisse isch.

BITTSTELLERIN

Im Hausflur steht seit ein paar Tagen eine alte Schreibmaschine, darauf hat jemand einen Zettel gelegt, auf dem steht: ICH MÖCHTE WIEDER JEMANDEM GEHÖREN ICH GLAUBE ICH FUNKTIONIERE.

FEEKLAGEN

Es ist in der Luft von Blütenblättern ein Wehen, ein Schmerz, so fein und weiß wie ihre Fasern.

GERÄCHTET

Durch eine Öffnung in der Hecke kann ich Bauarbeiter sehen, die hin und herlaufen und versuchen, etwas in Ordnung zu bringen. Ich habe mich hier hingesetzt, um etwas zu essen, aber ich kann es jetzt doch nicht, weil mir nämlich etwas wieder einfällt: Ein Artikel aus der Zeitung, von einer Frau, die zwei Bartagamen in einer Zoohandlung gekauft und dann den Karton in ihr Auto gestellt hat, während sie noch etwas eingekauft hat. Gestern war es genauso heiß wie heute und die Echsen sind bei einer Temperatur von über 70 Grad im Inneren des Autos in ihrem Pappkarton verbrannt. Als die Frau das gemerkt hat, hat sie den Karton auf dem Parkplatz gelassen, wo ihn eine Passantin später gefunden hat. Weil auf dem Karton der Name der Tierhandlung abgedruckt war und weil die Tierhandlung Name und Adresse ihrer Kunden aufnimmt, ist es gelungen, die Käuferin ausfindig zu machen. Die Zeitung hat geschrieben, dass sie sich zu dem Vorfall nicht äußern wollte. Auf einem Foto unter dem Artikel waren die beiden Echsen im Karton zu sehen. Die Körper völlig verblasst, ein bleiches Grün, als wären sie schon Jahrhunderte alt, die Beine zu kleinen Monden gekrümmt. Die Köpfe augenlos und schwarz verkohlt. Ich habe das Bild angeguckt und dann habe ich den Artikel nochmal angeklickt, um es ein zweites Mal anzugucken. In den Leserkommentaren haben sehr viele Menschen geschrieben, dass man die Frau in einen Pappkarton setzen und in ein 70 Grad heißes Auto stecken solle. Damit sie selbst merke, wie sich das anfühle.

GESCHWUR

„Wenn ich A. so lieben kann, wie er es verdient, dann bin ich erlöst.“
(Eintrag im Gästebuch der Flughafenkapelle Frankfurt am Main, 31.12.2015)

INITIATION

Auf der Straße kommen mir zwei Mädchen entgegen, sechs, sieben Jahre alt. In den Händen, weit von sich gestreckt, tragen sie sich windende Kaninchen. Ein Mädchen, ich sehe frische, blutige Kratzspuren an seinem Hals, fragt mit einer Stimme, die etwas zurückhält: Entschuldigung. Wollen Sie vielleicht unsere Kaninchen streicheln? Ich sehe die Tiere an, das schreckliche Weiß ihrer Augen, die Beine, die strampeln, kurz verharren, erneut strampeln. Ich sage: Ihr müsst sie nach Hause bringen. Sie haben ja Angst hier draußen. Nicken, einer Erwachsenen gehorcht man. Als ich vom Einkaufen zurückkomme, kauern sie immer noch an der Straßenecke. Die nackten Beine auf dem Asphalt ausgestreckt, die Tiere zittern zwischen ihnen. Ich gehe an ihnen vorbei, ich sehe ihnen ins Gesicht und sie mir. Wir sagen nichts. Sie sitzen da und stecken die Köpfe zusammen, mit der Härte älterer Frauen, im Feuerschein ihres ersten gebrochenen Versprechens.

INS LEERE ZERBROCHEN

An der U-Bahn wirbt ein Schild für Rollkoffer, zwanzig Prozent Preisnachlass, und daneben hat jemand mit Goldstift geschrieben: Ich kann die Miete nicht mehr zahlen. Die Bahn nimmt leise surrend Fahrt auf, ein beruhigendes Geräusch, und in einem Fahrradanhänger spricht ein Kind für sich.

LUFTSCHLOSS

„Sicherheitsschranke“ – was ist das überhaupt für eine Sicherheit und für was.

SCHUTZIG

Als ich aus der U-Bahn steige, spricht mich eine Frau an, die mir schon während der Fahrt immer wieder aufgefallen ist, weil sie laut gehustet hat und ihr Haar ein bisschen unordentlich ist. Aus den Gründen eben, die keine sind, aber wegen denen trotzdem jeder guckt. Sie fragt mich: Keine arge Sonne heute? Ich verstehe nicht gleich, sie fragt weiter, geduldig. Sie will wissen, ob es heute heiß wird. Keine siebenundzwanzig Grad heute? Es ist ein Tag Ende September, die Sonne scheint ein bisschen, aber heiß wird es ganz sicher nicht, und ich sage ihr das, ein bisschen ungeduldig. Die Frau sagt: Ist wegen meinen Hasen. Die sind auf dem Balkon. Die vertragen’s nicht so gut, wenn’s heiß ist. Sie fragt: Muss ich keine Sorge haben? Nein, sage ich. Keine Sorge. Sie muss keine Sorge haben. So halten sie’s grad noch aus? Ja. Bloß keine Sorge.

SCHNEEDICHTE

Mai. Das Grün ist dunkler geworden, die Blätter sind nicht mehr frisch. Die Bäume tragen schwer unter dem Regen. Ein Kind auf einem Roller gleitet den Bahnsteig entlang. Eine zittrige Linie, die weißen Räder wanken.

TRIPPIN‘

Ich stehe im Supermarkt zwischen Regalen. Ich weiß nicht mehr, was ich kaufen wollte, ich will verzweifeln. Rasierklingen gibt’s an der Kasse, schlägt ein Schild vor, und ich gehe weiter, mir fällt wieder ein, was ich brauche; Gefahr gebannt.

VERSEHEN

Auf dem Weg nach oben, auf der Treppe, denke ich für mehrere Sekunden, eine Frau im Foyer unter mir lausche mit ratlosem Gesicht an einem angebissenen Apfel. Bis ich merke, dass sie hinter dem Apfel noch das Telefon in der Hand hält. Trotzdem wird mein Gesicht dabei so heiter, dass ein junger Mann mich anlächelt.

VORZEICHENWECHSEL

M erzählt mir von einem Briten, der am ganzen Körper tätowiert und gepierced ist. Er nenne sich the scary guy und halte in seiner Heimat Vorträge an Schulen, in denen es darum geht, andere Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen. The scary guy habe auch gesagt, dass man, egal wie viel schlimme Erfahrungen man als Kind durch seine Eltern oder durch die Umstände, unter denen man leben musste, gemacht hat, man immer wieder die Chance habe, etwas zu verändern. Man könne neue Menschen für sein Leben auswählen, die einen anders, besser behandelten. Eines der Kinder habe daraufhin den scary guy ausgewählt.